DIE FLUCHT NACH OBEN

//Wer geheilt ist, funktioniert nicht mehr, sondern lebt.

Angsterkrankungen sind auf dem Vormarsch, und immer häufiger sind gerade jüngere, gut ausgebildete, erfolgreiche Menschen davon betroffen. Akademiker, Manager, hochbezahlte Yuppies, die stromlinienförmigen Produkte der modernen Gesellschaft. Viele von ihnen sprechen davon, die Angst, die Panik habe sie "aus heiterem Himmel" überfallen und ihr bis dahin glänzendes, geradlinig aufwärts verlaufendes Leben in eine irritierende, verstörende Hölle verwandelt. War der Himmel wirklich so heiter? Oder ist die Angst nur die Kehrseite der hochglanzpolierten Erfolgsmedaille? In "Push up 1-3" zeigt Roland Schimmelpfennig eine pervertierte, seelenlose, von allen menschlichen Werten verlassene Welt, in der allein Erfolg und Karriere zählen, in der die Protagonisten verzweifelt versuchen, "nach oben" zu kommen und den schwindelerregenden Blick in die Tiefe um jeden Preis zu vermeiden.

Sie wollen, sie müssen nach oben, ihr einziges Lebensziel ist die Spitze der Pyramide, der 16. Stock, die Chefetage eines beliebigen Konzerns. Die Identität dieser Figuren gründet sich ausschließlich auf Karriere, ihr Selbstwertgefühl allein auf Leistung und Erfolg, wobei Erfolg selbstverständlich auch das Demütigen, Bekämpfen und Ausschalten der Konkurrenten beinhaltet. Und die Konkurrenten sind überall. Ein Zögern, ein Straucheln auf der Karriereleiter bedeutet somit die Vernichtung der eigenen Identität. Als einen der wichtigsten Schutzfaktoren gegen pathologische Angst und Depression konnten psychologische Studien stabile soziale Bindungen ausmachen. Fehlen diese - und bei den Protagonisten in "Push up 1-3" fehlen sie in erschreckendem Maße, die Firma wird zum Ersatz für Liebe, Freundschaft, Nähe, und doch gleicht die dort empfundene Geborgenheit der in einem Haifischbecken - so brechen die Schutzwälle, der Sturz in die Tiefe ist nicht mehr aufzuhalten.

Macht und Prestige können die Einsamkeit nicht verhindern, aber die bei allen noch spürbare Sehnsucht nach Menschlichkeit wird auf dem Altar der Karriere geopfert. Gefühle zeigen macht verletzlich, es ist eine Schwäche. Angesichts der drohenden Gefahr, nicht mehr reibungslos funktionieren zu können, müssen Emotionen unterdrückt und verleugnet werden. Was bleibt, ist Sex als Statussymbol des erfolgreichen, souveränen, attraktiven Menschen. Sex kann man kontrollieren. Liebe nicht. Und so zerstören Robert und Patrizia ihre füreinander aufkeimenden Gefühle schon im Ansatz, können aber nicht verhindern, dass sie nach dem anderen Ausschau halten "in der Lobby, in der Kantine und im Fahrstuhl". Auch Angelika und Sabine sprechen von Ficken, wo es um Gefühle gehen könnte, während Frank seine Sehnsüchte mit scharfen Internetseiten, Pizza und Bier betäubt. Allein Hans ist noch fähig, wenigstens um seine Frau zu trauern. Nur konsequent, dass er den Job an der Spitze nicht bekommt, nicht bekommen kann. Roland Schimmelpfennig hält in "Push up 1-3" der verschärften Arbeitsbelastung, der Angst um den Arbeitsplatz und der existentiellen Verunsicherung in den höheren Etagen der Leistungsgesellschaft den Zerrspiegel vor. In ihm zeigen sich die Marionetten des modernen Lebens, die allesamt nur einen einzigen zerstörerischen Weg kennen: Die Flucht vor der Angst, die Flucht nach vorne, die Flucht nach oben. Handlungsalternativen gibt es nicht. Angst, Depression, psychische Auffälligkeit sind die Konsequenzen des Lebens in einer kranken Welt. Sie sind der erste Schritt zur Heilung.

Wie würde eine Fortsetzung der Geschichte von Angelika, Sabine, Patrizia, Robert, Hans und Frank aussehen? Sie würde wohl in den Kliniken, in den Arztpraxen und bei den Psychotherapeuten spielen, die die kaputten Seelen wieder reparieren sollen. Doch wenn es ihnen gelingen sollte, zu heilen, bräche das System zusammen. Denn wer geheilt ist, funktioniert nicht mehr, sondern lebt.