VATER UBU, SIND SIND EIN GROSSES SCHWEIN

//Eine Groteske, die politische Realität darstellt.

Es sei der Anbruch einer neuen Zeit, wurde getitelt, als in Finnland eine neue Regierung antrat. Die Regierungschefin Sanna Marin, eine Frau, gerade einmal 35 Jahre alt. Alle Parteivorsitzenden der anderen mitregierenden Parteien sind ebenfalls Frauen. Das ist einmalig und neu in der Geschichte. Wird die Politik also jünger, weiblicher, moderner?

Der Optimismus verfliegt rasch, blickt man nach Brasilien, in die Türkei, in die USA oder nach Australien. Hier regiert der Chauvinismus. Alte, weiße Männer sitzen an den Hebeln der Macht, selbstverliebt, ignorant und voller Gier. Sie mögen wie Relikte aus einer anderen Zeit wirken, es ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass sie die Welt gestalten. Hier. Jetzt.
Selten wurde dieses chauvinistische, nur auf sich selbst und die eigene Macht fokussierte Verständnis von Politik offenbarer als in jenem Video aus Ibiza, das im Frühjahr 2019 Österreich aufschreckte. In einer Villa auf Ibiza wird getrunken und geraucht. Man fühlt sich geil und suhlt sich darin. Die FPÖ-Politiker Strache und Gudenus schwadronieren vor der angeblichen russischen Oligarchennichte, wie sie die österreichische Kronen-Zeitung unter ihre Kontrolle bekommen wollen. Sie zeigen sich korrupt und schlagen Wege vor, wie die Partei illegal finanziell unterstützt werden könne. Das ist kriminell und antidemokratisch, was die beiden Politiker nicht zu stören scheint. Sie gefallen sich selbst. Und über allem liegt die Geilheit. An der Macht, am Geld, an der Gier, an sich selbst.

Plötzlich wird ein über 100 Jahre altes Werk wieder hochaktuell: „König Ubu" (im französischen Original „Ubu roi") von Alfred Jarry. 1896 hatte das absurde Stück in Paris seine Uraufführung – und wurde sogleich zum Skandal.
Absurd verzerrte, ordinäre Kraftausdrücke sind Standardsprache für Vater Ubu, den Protagonisten des Dramas. Er frisst und rülpst und furzt sich durch das Stück. Das Fleischliche in allen Formen macht ihn geil. Ebenso wie Macht und Geld. Zugleich ist er feige, ein regelrechter Schisser. Eine erbärmliche Figur, aber rücksichtslos und nur an sich selbst interessiert erkämpft er die Macht. Dort oben thront er zusammen mit Mutter Ubu; diejenigen, die ihm im Wege stehen, verlieren schnell ihre Köpfe, Steuern steigen ins Unermessliche; alles für die Macht, alles für sich.

Dies ist absurd, parodistisch überdreht, radikal ins Perverse gesteigert, gewiss. Umso erschreckender sind die Parallelen zu manchen heutigen Herrschenden und Mächtigen. Auch wenn sie so vielleicht nicht beabsichtigt waren. Denn als Alfred Jarry 1885, gerade einmal 13 Jahre alt, die erste Version von „König Ubu" verfasste, hatte er keine Politiker im Sinn, sondern seinen Physiklehrer Hébert, der karikiert werden sollte. Wohl rührt die Faszination für alles Physische, die Ubu ausmacht, vom Fach, das dieser Lehrer unterrichtete. Diese Schülertravestie entwickelte Jarry gemeinsam mit einem Freund zu einem Marionettentheater weiter, ehe der heute vorliegende Text in den 1890er Jahren fertiggestellt und uraufgeführt wurde.
Betrachtet man die Figuren des Vaters und der Mutter Ubu näher, könnte man aber auch eine Parodie auf die klassischen Shakespeare-Dramen erkennen. Die Figuren in den Königsdramen von Shakespeare sind ebenso gierig nach Macht, besoffen an sich selbst und tyrannisch gegen andere. Jarry dreht dies ins Groteske. Vater Ubu als Parodie von King Lear, Mutter Ubu das lächerliche Abbild von Lady Macbeth? Möglich.

Strache und Gudenus haben mit ihrem Auftritt im Ibiza-Video selbst für eine chauvinistische Groteske gesorgt. Eine Groteske, die aber politische Realität
darstellt. Und Jarrys Stück in die heutige Welt holt, aktueller denn je.
Es sind die Männer, die in dieser heutigen Welt, testosterongesteuert und an sich selbst berauscht, Politik machen. Die Hoffnung auf Besserung, wenn Frauen die Macht übernehmen, wird – zumindest bei der Lektüre Jarrys Werk – zerstört: Mutter Ubu agiert anders, intriganter, vielleicht ein wenig intelligenter, doch auch sie wird nur von einer Sache geleitet: der Gier.