MARIO UND DER ZAUBERER

//Nach der gleichnamigen Novelle von THOMAS MANN
1989 im Röder/Altdorf

"Ein tragisches Reiseerlebnis" - so hat Thomas Mann seine Novelle untertitelt. Und schon mit den ersten Sätzen bereitet er den Leser darauf vor, daß sich im Verlauf der geschilderten Vorgänge Verhängnisvolles zutragen wird: "Gottlob haben sie [die Kinder] nicht verstanden, wo das Spektakel aufhörte und die Katastrophe begann..." "Mario und der Zauberer", diese kleine Geschichte erzählt eine fast authentische Begebenheit. Thomas Mann, seine Frau und die beiden jüngsten Kinder mögen sie während einer Italienreise nach ­ der Name ist erfunden ­ "Torre di Venere" im September 1926 so erlebt haben. Die Wirklichkeit wird nach eigenen Äußerungen Manns nur durch den Schluß der Novelle ergänzt und verdichtet.

Nach allerlei unangenehmen Erfahrungen am Ort ­ die Schilderung der sonderbar überreizten Stimmung in dem Seebad nimmt fast ein Drittel der Novelle ein ­ besucht die Familie auf Drängen der Kinder das Abendgastspiel eines Magiers. Gäste wie Einheimische werden begeisterte Zeugen der wirksam vorgetragenen Kunststückchen des Zauberers Cipolla (Thomas Mann nennt ihn so).

Aber Cipolla ist gar kein Trickkünstler, die Erwachsenen spüren das bald. Ja, sie ahnen, was er ist: ein bewundernswert rhetorisch gewandter aber gefährlicher Hypnotiseur. Und so endet das Abend auch: als nämlich Cipolla seine Begabung auf taktloseste und entwürdigendste Weiße missbraucht. Der Nobelpreisträger Thomas Mann veröffentlichte seine Novelle im Jahr 1930. Sie wurde von der Kritik einhellig als formales wie sprachliches Meisterwerk gefeiert. "Literatur? Ja, und dreimal ja! Literatur im höchsten, besten Sinne, im Sinne eines einsamen Niveaus, das dennoch gesegnet ist mit dem Segen der vollkommenen Zugänglichkeit..." (Stephan Ehrenzweig).

Obwohl Italien mit einem Verbot der Novelle auf deren Erscheinen reagierte, wurde ihr politischer Aspekt aber zunächst in seiner Tragweite übersehen, mindestens aber unterschätzt. Dieser Ansatz, der unverstellte Blick auf die keineswegs nur geheime Anspielung auf den Faschismus und damit auf die ­ wenn auch verschleierte ­ Vorahnung deutscher (und italienischer) Geschichte gelang erst den Rezensionen nach 1945. Das oben begonnene Zitat aus Thomas Manns Novelle endet: "... und man hat sie [die Kinder] in dem glücklichen Wahn gelassen, dass alles Theater gewesen sei."

ROZZNJOGD

//von PETER TURRINI

 Im Leben ist er Peter Turrini, Schriftsteller, geboren 1944 (die Mutter aus der Steiermark, der Vater Italiener), wohnhaft in Wien. Auf Bühnen, in Fernsehfilmen und in Gedichten ist er "Sauschlachten", "Die Alpensaga", "Josef und Maria", "Die Bürger", neuerdings "Die Minderleister" und eben "Rozznjogd".

"Ein düsteres Satyrspiel zu 'Easy Rider'", eine burleske Parodie jenes tragischen Kultfilms der sechziger Jahre also nennt Helmut Schödel in der 'Zeit' dieses erste Theaterstück Turrinis, das 1971 eine stürmische Premiere erlebte und seinen Autor über Nacht über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt machte.

Die Theater 4-Bearbeitung des Stücks "Rozznjogd", in österreichischen Umgangsdialekt wie die Vorlage, zeigt zwei junge Arbeitskollegen ­ im Original sind es Sie und Er ­ nachts auf der Müllhalde einer großen Stadt. Sie sind wegen des leidenschaftlichen Sports des einen Jungen auf diesen Platz herausgefahren: Rattenschießen, Rattenjagd. "du hosd mi scho richtich vastondn, ois obfoi, scheisse, misd in uns" ­ aus dieser längst gehegten Einsicht des einen Jungen entwickelt sich im Verlauf des Stücks das eigentliche Spiel. Das Interesse zunächst des einen Jungen, dann beider richtet sich zunehmend darauf, zu erfahren, was wirklich hinter den bröckelnden Fassaden wartet: "... oba du bisd ana, den i genau kennenleanen mechd, deshoib muass i di zalegn, vastesd?"

Peter Turrini sieht sein Stück als Ergebnis eines "verzweifelten Selbstreinigungsprozeß[es], ... [um] alles, was sich in den letzten Jahren an Druck ... angesammelt hatte, los[zu]werden."1 War daraus wirklich nur ein Satyrspiel zu einer vergangenen Spielart des Generationskonflikts entstanden?

Turrini hat für eine von ihm selbst gesprochene spätere Tonbandaufnahme den Schluß seines Stücks neu geschrieben. Die Theater 4-Bearbeitung verwendet diese Änderung: "Rozznjogd" ist damit Paradigma eben dieses Selbstreinigungsprozesses, befreiend in allen Stadien, aber unausweichlich in seiner letzten Konsequenz.