AUF DER GREIFSWALDER STRASSE
//von Roland Schimmelpfennnig
//6. - 10. April 2018
Der stumme Schrei nach Liebe
24 Stunden erzählt das Stück, beginnend in der Nacht. 24 Stunden, während denen
(alb-)traumhafte Begebenheiten das mehr oder weniger alltägliche Leben der Akteure
aus den Fugen geraten lässt. Ein Mann verliebt sich in eine Giraffe, aus einem anderen
strömt Musik, gegen die er sich nicht wehren kann, eine Frau sucht verzweifelt ihren
Hund, ein Mädchen wird von einem Hund gebissen, sie alle sind irgendwie miteinander
verbunden.
Dennoch ist das Stück, das Roland Schimmelpfennig den Theatermachern an die Hand
gibt, ebenso Drama wie eine große Materialsammlung. Regieanweisungen werden zu
Texten der Figuren, Dialoge wechseln mit Bildbeschreibungen und Erzählungen, ebenso
Zeitpunkte und Orte. Man kann sich gut vorstellen, wie der Autor, der selbst sieben
Jahre lang nahe der Greifswalder Straße lebte, auf dem Balkon stand und die Menschen
auf der Straße unter ihm literarisch fing, sammelte und zu Figuren verarbeitete. Er
fügte sie zu einem Theaterstück zusammen, lässt dem Ensemble, das sich dieser
Stofffülle annimmt, aber gleichzeitig viele weiße Stellen zwischen den theatralen
Miniaturen.
Viele Themen blitzen in Schimmelpfennigs Stück auf. Soziales Elend in der Großstadt,
die Vereinzelung des Menschen, die Verschmelzung von Realität und Phantasie. Unsere
Lesart konzentriert sich auf ein weiteres Thema des Stücks: In vielen der Figuren und
ihrer Existenz blitzt die Liebe auf, als könnte sie ihnen Halt und Orientierung geben
in der schieren Größe und Bedrohlichkeit ihrer Umgebung. Als könnte die Liebe dem
diffusen Schrecken der Großstadt und den Verstörungen der Menschen entgegentreten.
Die Liebe, zu der zwei gehören, die einem geschenkt wird, die geht wie sie kommt,
die einen aus heiterem Himmel treffen kann, die mit der Liebe zu sich selbst beginnen
muss, die einen Menschen retten oder auffressen kann, die krank machen und tödlich
enden kann, die süchtig macht.
Das universelle Phänomen der Liebe, das heilen kann und zerstören.