PASTORALE

//Ein Stück mit ländlichen Motiven

Die Protagonisten stammen aus beängstigend gutbürgerlichen Verhältnissen. Dass diese nicht immer gut für die psychische Grundkonstitution und schon gar nicht für soziales Verhalten sind, wird an Hildesheimers Figuren mit Händen greifbar. Ihre Welt besteht ausschlie?lich aus ihnen selbst.

Identität definiert sich über den Kontostand und manchmal kann man einfach nicht anders und muss das dann auch den anderen mitteilen, obwohl natürlich keiner der Beteiligten irgendwie an dem anderen interessiert ist.

So treffen sich der Herr Präsident Glinke, Fräulein Dr. Fröbel, Herr Konsul Asbach nebst Schwester Bergassessorin Asbach auf einer an pittoresker Anmutung kaum zu überbietenden Bergalm. Herrlich!

"Die Bühne stellt eine Wiese dar, mit bewaldeten Hügeln im Hintergrund, sehr idyllisch. Sommerliche Geräusche, Vogelsingen, Kuhglocken, Töne, die gemeinhin ländlichen Sommer untermalen."

Na, da geht einem doch das Herz auf.

Und inmitten dieser frischen Luft, in all der Nähe zu unberührter Natur und dem ursprünglichen Mensch-sein, veranstalten diese Damen und Herren ihre regelmäßige Chorprobe mit ausgewählten Werken, die ihrem Gefühlsüberschwang Ausdruck verleihen sollen.

Unter der künstlerischen Leistung des Dieners Philip, der sich sein musisches Talent hart in Abendkursen erworben hat, schmettern die Protagonisten Kulturgut höchster Güte durch die Berglandschaft.

"Gis! Das Ge von Gefühl wird nicht auf Ge gesungen, sondern auf Gis. Gisfühl. Gisfühl!"

Zu Gefühlen sind sie diese Figuren leider nicht mehr wirklich in der Lage. Übrig bleiben maximal noch ein paar rudimentäre Gisfühle. Für manchen ist aber auch dieses Maß an gesteuerter Emotion vielzuviel...

Obwohl es Wolfgang Hildesheimer in mehreren Statements hartnäckig leugnete, eine gewisse Verwandtschaft mindestens dieses Stückes zu Eugene Ionesco ist für den unvoreingenommenen Leser nicht zu übersehen. Absurde Dialoge machen die Kommunikationsunfähigkeit der Figuren transparent, bei allen komischen Verwicklungen bleibt einem dennoch das Lachen im Halse stecken.

Hildesheimer war bekannt für seine große Skepsis dem Kulturbetrieb gegenüber und offenbarte sich als konsequenter Moralist. Als Mitglied der Gruppe 47 nahm er an verschiedenen Reisen nicht teil, beispielsweise, um nicht "ein Bekenntnis der westdeutschen Schriftsteller zu Amerika" abzulegen, solange diese einen Krieg, wie den Vietnamkrieg führen.

Selbstgewählte Isolation und literarisches Verstummen sind die schleichende Konsequenz von soviel gelebter Moralität und Pessimismus. "Ich bin immer zu jeder Wette bereit, dass alles schlimmer wird", schreibt Wolfgang Hildesheimer an Joachim Kaiser, "und hoffe immer, meine Wetten zu verlieren."