RABENSPIELE

//von Herbert Meier
//25. - 28. Mai 1995

Heute Abend ist Rabenspiel

Doktor Haffner veranstaltet ein Spiel. Eines, das befreiend wirkt auf alle, die kommen. Auf seine ganze Gesellschaft. Ein sogenannter "weißer Rabe" wird eingeladen und irgendeines Verbrechens beschuldigt - den letzten haben sie "mit ihren Fragen halb zu Tode gequält". Es ist das einzige Vergnügen, das Haffners Gesellschaft noch hat.

Heute Abend wird Michael Greder der "weiße Rabe" sein. Er hat die Theologie an den Nagel gehängt, ist eben aus Rom zurückgekehrt. Sein Verbrechen: Er hat noch nie ein Weib berührt! Nun folgt eine Gerichtsverhandlung mit Anklageschrift, Plädoyers und Zeugenaussagen - die Rabenspielmaschinerie läuft an. Doch Greder ist ein geschickter Selbstverteidiger, weil er sich von vornherein "Nicht schuldig" fühlt. Er ist der Sand im Getriebe, lässt die Maschinerie ins Stocken geraten und deckt "mit seinen unschuldigen Fragen" die Dekadenz einer Gesellschaft auf, die sich seit Jahren mit selbst geschaffenen und internen Skandalen am Leben erhält.

Das Prinzip dieser Gesellschaft ist das Tauschgeschäft.
Greder: "Für Sie ist doch alles Ertrag und Nutzen, Herr Dr. Haffner. Alles ist Tausch bei Ihnen, Geschäft. Auch das zwischen Mann und Frau. Sie sind ganz ahnungslos: was alles gehen kann, wenn es nicht nach Ihnen geht."
Die Gesellschaft wird es bleiben: Ahnungslos, kalt und ohne Selbstzweifel. Für sie ist die Liebe ein Spiel, ist gerade soviel wert, wie ein Sportwagen, ist nichts weiter als eine Bettgenossenschaft. Wer anders denkt und glaubt, dass es gehen kann zwischen einem Mann und einer Frau, ist ein Idiot.